Boah Politik, ey! (4)

imageIrgendwie ist es ein bisschen Off-Topic heute, aber dann auch wieder nicht. Ich habe neulich den Beitrag „die große Zuckerlüge“ auf arte gesehen (Link gibt es weiter unten). Ich möchte ernährungswissenschaftlich da nicht drauf eingehen. Nur so viel: Wir Menschen brauchen Fett, Kohlenhydrate und Proteine zum Leben, zusätzlich noch ein paar Vitamine. Vereinfacht gesagt. Weder Fett, noch Kohlenhydrate, noch Proteine machen und per se dick und ungesund. Es kommt auf die richtige Menge an, und dass man innerhalb dieser Nährstoffgruppen die gesunden den ungesunden vorzieht. Also eher ungesättigte Fettsäuren statt Trans-Fettsäuren zu sich nimmt, lieber komplexe Kohlenhydrate statt Monosacchariden (z.B Haushaltszucker). Dies ist allerdings leicht gesagt. Auch wenn die meisten inzwischen davon gehört haben, dass in Tomatenketchup sehr viel Zucker ist, glaube ich nicht, dass die breite Masse der Bevölkerung bei jedem Lebensmittel das Bewusstsein hat, welche Inhaltsstoffe sich darin befinden. Auch das Studieren einer Zutatenliste auf der Packung wird wahrscheinlich nicht jeden weiterbringen, da dort oft chemische Begriffe und Abkürzungen stehen, unter denen sich viele nichts vorstellen können. Aber wie kommen wir überhaupt in die Situation, dass wir das Gefühl haben, erst Lebensmittelchemiker sein zu müssen, um uns gesund ernähren und bestimmte Inhaltsstoffe vermeiden zu können?
Je länger ich diesen Blog schreibe, desto klarer wird mir, dass alle Probleme, in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen, die unsere westliche Zivilisation hat, gesellschaftlicher Natur sind. Es gibt ein Muster:


Schritt 1: Der Mensch entdeckt einen Rohstoff / ein  Lebensmittel / ein Produkt, das vielen Menschen einen Vorteil bietet. Weil es praktisch ist, gut schmeckt, oder andere besondere Eigenschaften hat.
Schritt 2: Die neue Entdeckung wird bekannt und nachgefragt.
Schritt 3: Wo eine Nachfrage, da wird früher oder später ein Markt für dieses Produkt entstehen. Und soweit finde ich das ganze auch noch OK, ich kann mir vorstellen, dass dies der „natürliche Weg“ in jeder Gesellschaft ist. Aber was passiert dann:
Schritt 4: Da wir in einer konsumorientierten Wachstumsgesellschaft leben, bildet sich eine Industrie um das gut laufende Produkt. Diese versucht das Produkt bestmöglich zu vermarkten. Es bildet sich eine Lobby, deren Aufgabe es ist, sich für das Produkt einzusetzen, um die Industrie am laufen zu halten und die Profitgier der oberen Hierarchien zu befriedigen. Sollte das Produkt schlecht sein, wird entsprechendes Marketing gemacht, um den Verbraucher zu täuschen.
Schritt5: Im vorherigen Schritt hat die Lobby über Jahrzehnte einen so guten Job gemacht, dass das Produkt, auch wenn es „schlecht“ ist, Einzug in jeden Haushalt gehalten hat und in  allen Konsumgütern steckt, so dass man es nicht mehr vermeiden kann.

Und an dem Punkt ist doch dann was schiefgegangen, oder?

Und so ist das mit dem Zucker:

Der amerikanische Wirtschaftsverband Zucker hat in den 70er Jahren eine geheime PR Strategie entwickelt, um die öffentliche Meinung zum Thema Zucker zu beeinflussen und um aus dem Fadenkreuz der Gesundheitsbehörde zu kommen, die gerade Daten darüber sammelte, ob Zucker schädlich sei. Parallel dazu gab es die International Sugar Research Foundation, die dann international tätig war. Ihr Ziel: Die Diskussion um Zucker irgendwie so in der Schwebe zu halten, dass politische Entscheidungsträger nicht sagen können: Zucker macht krank.

Das Ergebnis dieser Manipulation ist, dass wir heute von Zucker überschwemmt werden. Selbst wenn man dem Angebot von Süßigkeiten, Limonade, Kuchen und Gebäck, Schokolade etc. trotzen kann, das einem täglich entgegenschlägt, ist er fast überall drin, wir nehmen ihn ständig auf. Chronische Erkrankungen wie Diabetes Typ II, Fettleber, Herzerkrankungen und Adipositas haben sich so stark (auch schon bei Kindern) vervielfacht in den letzten Jahrzehnten, dass manche vermuten, dass unsere Gesundheitssysteme schon alleine deswegen zusammenbrechen werden.

Ähnlich verhält es sich mit dem Palmöl. Es ist überall drin! Ja, es hat ganz hervorragende chemischen Eigenschaften und macht den schokoladigen Brotauftstrich sooo cremig. Das Problem ist, dass diese Cremigkeit uns nicht nur so einige Kilos auf den Hüften kostet, sondern leider auch den indonesischen Urwald mitsamt seiner tierischen Einwohner. Haben wir das so gewollt? Nein! Aber jetzt rollt der Rubel und Palmöl steckt überall drin. So einfach kommen wir aus der Nummer nicht mehr raus.

Und da frage ich mich, wie es sein kann, dass selbst in einer marktwirtschaftlich geprägten Gesellschaft, sich die Profitgier einzelner über das Wohl von Mensch und Natur hinwegsetzen kann. Eine Gesellschaft, in der so etwas möglich ist, scheint mir selbst nicht gesund zu sein.

Aber müssen wir das erlauben? Spätestens wenn die wissenschaftlichen Fakten auf dem Tisch liegen und wir klar sehen, können wir uns doch zur Wehr setzen. Und zwar mit unserem Konsumverhalten. Dann funktioniert die Marktwirtschaft in unserem Sinne: Keine Nachfrage resultiert auf die Dauer in kein Angebot. Im fall von Zucker heißt das: Wenn ihr wissen wollt, was auf Eurem Teller liegt und ihr steuern wollt, wie gesund ihr Euch ernährt, ist das ganz einfach. Kauft Euch Euer Obst, Gemüse, Mehl, etc. und kocht und backt Euer Essen selbst.

Lustig, während ich das schreibe fühle ich mich, als würde ich hier die provokativste und unmöglichste These aufstellen. Weil es in unseren ach-so- stressigen, alles-muss-schnell-und-einfach-sein-Alltag nicht passt, abends Hefeteig zu kneten. Is aber keine Frage von Lifestyle. Is eine Frage von Verantwortung. 

10 Kommentare zu “Boah Politik, ey! (4)

  1. Toller Artikel 🙂
    Interessant finde ich, das die älteren Generationen, in der Regel nichts süßes mögen. Wir werden mit Süßprodukten großgezogen und kann schon sagen das der Zucker uns abhängig macht. Hinzu kommt das Überangebot an Zuckerhaltigen Nahrungsmitteln. In diesem Zusammenhang finde ich Clean Eating sehr nett, also im Prinzip alles selbst und frisch machen um verstecken Zucker zu entgehen.

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  2. Toll geschrieben! Und ich gebe dir recht: eine Gesellschaft, wo sich die Gier über das Wohlergehen der Gesellschaft durchsetzt, ist eine kranke. Leider war das fast schon immer so. Die Gier wird auch vermutlich irgendwann unsere Gesellschaft zerstören – in welcher Form auch immer – und nur dann kann etwas neues entstehen. Auch das war schon immer so. Der Mensch braucht eine Katastrophe, um Veränderungen zuzulassen.

    Für mich ist Kochen weder zeitraubend noch aufwändig. Ich koche sehr gerne selbst, eben weil ich dadurch weiß, was ich esse. Und ich koche gerne – ist mein Workout nach der Arbeit 😉 Unser Zucker, den wir haben, ist bereits abgelaufen, schmeckt unserem Besuch aber noch immer 😉

    Wir zuckern nichts – ich backe auch nicht 😉 – da wir ohnehin genug Zucker zu uns nehmen, sei es über Schokolade, Fruchtjoghurts oder sonstigem.

    Alles Liebe,
    Sabrina

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  3. Ja, in der Geschichte sind immer wieder Zivilisationen zugrunde gegangen, aus unterschiedlichen Gründen. Auf jeden Fall ist es traurig.
    Glücklich macht mich allerdings zu lesen, dass Kochen als Workout anerkannt wird. Dann bin ich ja doch nicht so ein Sportmuffel wie angenommen 🙂 LG

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  4. Danke für den tollen Artikel! Ja, unsere westliche Gesellschaft hinterfragt so wenig. Ich erinnere da an den Spinat-Rechenfehler, weswegen uns Kindern Spinat aufgedrückt wurde bis er aus den Ohren wieder heraus kam. Genauso betet die Milch-Lobby aus Sorge um den €12 Mrd. Markt das „Milch ist gesund“ Mantra – und Eltern setzen ihren Kindern täglich Milch vor – wer hinterfragt das jemals? Hinweise für die schädigende Wirkung tierlicher Proteine auf den menschlichen Körper gibt es zur Genüge. Dennoch ändert kaum jemand seine Gewohnheiten. Das, befürchte ich, wird auch beim Zucker so sein. LG Martin

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    • Lieber Martin,
      ja Milch ist auch so eine Sache, genau wie die Oxalsäure. Es wird immer alles erst bejubelt und dann verteufelt, dabei sagt einem der gesunde Menschenverstand doch, dass ein gesundes Maß wahrscheinlich das Sinnvollste ist. Ich kenne Leute, die ihre Kinder literweise Milch am Tag trinken lassen – Das Problem ist, dass eventuelle Gesundheitsschäden sich über viele Jahre manifestieren, wenn die schlechten Gewohnheiten in einem drin sind oder im schlimmsten Fall eine Stoffwechselerkrankung irreversibel ist. Zu Deinem Punkt mit dem Hinterfragen in unserer Gesellschaft: Meine traurige Erkenntnis ist das auch schon lange, dass man alles hinterfragen muss. Man kommt sich schon fast vor wie ein Verschwörungstheoretiker, aber Fakt ist, dass keiner selbstlos meine Interessen vertritt. Was richtig ist und was falsch, darüber muss man sich mühsam selbst ein Bild machen. Eine wichtige Lektion, die wir auch an unsere Kinder weitergeben müssen. Sagt die Mutter, die gestern noch ihr Kind fast an die Wand geklatscht hat (sinnbildlich!), weil es ständig all meine Ansagen hinterfragt! 😉

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